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Highlights

- CHRONIK EINES AUSNAHMEZUSTANDS

Residenz-Autor*innen bloggen – Tag für Tag neu. #alleswirdgut

    9. April 2020

    Lukas Kummer, Kassel


    Nach zwei Wochen setzt allmählich eine lähmende Müdigkeit ein. Mein Kopf wiegt mindestens 20 Kilo und jeder Gedanke genauso viel. Das Gemüt ist das eines Schlaflosen, trotz viel Schlaf. Ich lese viel, bin viel im Internet, schaue viel fern, alles mit einem Beigeschmack von Unzulänglichkeit. Ich habe einen Heißhunger auf Unterhaltung, ich bin ein Zombie. Das Zu-Hause-Bleiben fordert seinen Preis. Und dabei bin ich ein sehr geübter Zuhausebleiber. Wie mag es wohl den anderen damit gehen?
    Und ja, es ist ein Luxusproblem, und danke an alle, die gerade die Welt retten. Ihr seid die wahren Helden, etc. etc.
    Wir schauen Netflix. Dass wir uns auf ein Programm einigen konnten, gleicht einem Wunder! Sie, interessiert an Psychologie, ich, ein Österreicher, da schien uns eine Serie über Sigmund Freud eine gute Schnittmenge zu sein. Was soll ich sagen? Corona vergiftet die Welt, Netflix die Wohnzimmer. 
    In “Freud” kämpft der knallharte Erfinder der Psychoanalyse (Badass!!) nicht bloß gegen die Vorurteile seiner Karikaturen von Kollegen, nein, er muss auch allerlei Gespenstern und Fabelwesen die Stirn bieten! Wahrscheinlich bedient sich die Serie des Scooby Doo - Prinzips, also am Ende war gar nichts übersinnlich, es war nur der Hausherr im Geisterkostüm, der die lästigen Mieter hinausgruseln wollte, was weiß ich, habe mir diesen Scheißkram nicht bis zum Ende angeschaut. Die Serie ist historisch nicht ganz korrekt, dafür aber geht es zack, bumm, krach, mit der Stiefelspore volle Wucht in die Großhirnrinde des zuschauenden Opfers.  Für Georg Friedrich lohnt es sich aber, der ist in seiner Rolle wieder einmal super. Außerdem möchte ich mich nicht mit ihm anlegen.
    Wir versuchen eine andere Serie. „Jerks“. Die Ästhetik kennt man aus tausend Vorlagen. Hollywood oder die BBC machts vor, der deutsche Markt verpackt es neu und spuckt es wieder aus. Er hat seit 50 Jahren keine eigene Stimme mehr. Er tauscht Larry David gegen Christian Ulmen und Fahri Yardim und tut so, als wäre das unfassbar originell. Alles ein bisschen zu gewollt.
    Ich bin kein Kulturschnösel, ganz bestimmt nicht. Ehrlicher Schund, welcher die Leute nicht für dumm verkauft, im besten Fall noch doppelbödig, sodass jeder dran reicht, ist mir das liebste! Für mich waren es nie Spielberg oder Lynch, immer eher Carpenter und Verhoeven. Was Geschichten betrifft, spreche ich mir selbst einen analytischen Blick zu. So wie Freud! (zack, bumm!) Immerhin habe ich “story” von Robert McKee gelesen, das macht mich zu einem Experten. Ich war immer der Meinung, die Vision eines Erzählers sei nur eine Richtlinie, kein Diktat. Man sei als Schaffender mehr Zuarbeiter als Bauherr. Stattdessen zerbricht das Unterhaltungskino heute unter der Last so mancher Vision. Blockbuster sind krumme Monumente, unter dem Gewicht eines Regisseuren-Egos konnten sie nie richtig wachsen. Naja, das sind jetzt ein paar Gedankenbrocken aus einem halbwachen Schädel. 
    Entweder ich lese jetzt die Hemingway-Biographie weiter, oder ich melde mich zur Feldarbeit. Hemingway hat gerade den Eiffelturm umgeboxt. 
    Ich hoffe, sie brauchen mich beim Spargelstechen.  

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    20. März 2020

    Lukas Kummer, Kassel

     

    Ich bin heute Morgen wieder um drei aufgewacht. Ich bin seit einer Woche erkältet (kein Corona!) und die Halsschmerzen reißen mich jeden Tag früh aus dem Bett. Dann Kaffee, Nachrichten, Twitter usw. Das Haus für einen längeren Zeitraum nicht zu verlassen, ist keine neue Erfahrung für mich. Als Comiczeichner isoliere ich mich in einer gewissen Regelmäßigkeit, um ungestört an meinen Projekten arbeiten zu können. Eine Beobachtung, die ich während dieser Arbeitsphasen immer wieder mache, ist die Verschiebung der eigenen Wahrnehmung. Das “Draußen” erscheint mir zunehmend befremdlich und surreal. Man betrachtet die Welt und sich selbst gefiltert, so, als wäre man sein eigener Poltergeist. Im Moment ist es ähnlich. Ohnmächtig beobachte ich, wie das vertraute Gefüge zu bröckeln beginnt, wie Ereignisse ins Rollen kommen und immer unaufhaltsamer talwärts stürzen. Im Tal selbst sehen wir, was auf dem Spiel steht und was kaputt werden kann, wenn sich das Geröll nicht doch noch irgendwo verfängt.  

    Ich habe es, im Vergleich zu den meisten, gerade sehr einfach. Keine Kinder, keine Verpflichtungen und finanziell reicht es auch. Ich darf also nicht jammern. Die gefühlte Surrealität ist ein Luxusproblem im Gegensatz zum Alltag vieler Menschen, in den die Realität längst Einzug gehalten hat. Sie müssen Entscheidungen treffen und Dinge tun, von denen ich mir nicht einmal eine Vorstellung machen kann. Und wiederum andere sind Meister darin, die Tatsachen zu verdrängen.  

    Wie das Ganze ausgeht, weiß noch keiner. Komischerweise mache ich mir kaum Sorgen. Mein Leben hat sich, wie eingangs erwähnt, kaum verändert. Ich frage mich nur, wann die Realität an die Tür klopft.  

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    Bücher von Lukas Kummer

    Coverabbildung von 'Die Ursache'

    Thomas Bernhard Lukas Kummer (Illustrationen) - Die Ursache

    Eine Andeutung

    Im ersten Band seiner Autobiographischen Schriften betreibt Thomas Bernhard eine Ursachenforschung, die nichts und niemanden verschont: das Internat war ein Kerker, die Stadt Salzburg eine Todeskrankheit, die Vernichtung allgegenwärtig. Die einzige Lichtgestalt war der Großvater, der ihm von Mozart, Rembrandt und Beethoven erzählt. Diese „Ursachen“, die Bernhard hier mehr als nur „andeutet“, hinterlassen unauslöschliche Spuren in seinem ganzen Werk. Mit einem präzisen, sparsamen, fast realistischen Strich und einer eindringlichen Wiederholungs- und Variationstechnik gelingt es Lukas Kummer, Thomas Bernhards Erinnerungen an die Schrecken von Internat, Krieg und Nationalsozialismus sichtbar zu machen.

    Coverabbildung von 'Der Keller'

    Thomas Bernhard Lukas Kummer (Illustrationen) - Der Keller

    Eine Entziehung

    Im zweiten Band der Autobiographischen Schriften beschließt der Schüler Thomas Bernhard, sich seinem Leben zu entziehen. Statt weiterhin die Schule zu besuchen, findet er im Keller einer Lebensmittelhandlung am Rande der verhassten Stadt, im Wohngetto der Besitzlosen und Kriminellen, eine Lehrstelle. Er lernt dort die von der Gesellschaft Ausgestoßenen kennen, denen er sich nahe fühlt, und er lernt erstmals, was es heißt, angenommen zu werden und „nützlich“ zu sein. Der Alltag im „Keller“ erweist sich als heilsam, die „Vorhölle“ wird zur „Zuflucht“, bis eine schwere Krankheit Bernhards Lehre ein jähes Ende setzt. Für den Ton des Autors findet Lukas Kummer hier eine aufgelockerte Bildsprache. Er begleitet Thomas Bernhard mit präzisem Strich durch diese vielleicht hellste Zeit seiner Jugend.