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- CHRONIK EINES AUSNAHMEZUSTANDS

Residenz-Autor*innen bloggen – Tag für Tag neu. #alleswirdgut

    1. April 2020

    Cordula Simon, Edenkoben, dann Graz


    Geist und Geister

    Als in Österreich die ersten Maßnahmen beschlossen wurde, war ich gerade im Künstlerhaus Edenkoben an der südlichen Weinstraße in Rheinland-Pfalz untergebracht. An sich ein großartiger Ort für Isolation – zwar gab es bis zur Absage aller Konzerte und Lesungen im Künstlerhaus noch viele Kulturveranstaltungen für das vergleichsweise kleine Städtchen, aber davon abgesehen sitzt man doch allein zwischen Weinbergen. Meine Abreise hätte Mitte April stattfinden sollen und sobald im März besseres Wetter sein würde, könnte ich am Vormittag schreiben und nachmittags auf eine Burg klettern oder wandern gehen. Alleine vom Künstlerhaus sind fünf Burgen leicht zu Fuß erreichbar. Dass die Gaststätten, die sich hinter ausnahmslos jedem Steinhaufen verbergen, nun geschlossen sein würden, kratzte mich recht wenig. Ohne etwas zu essen einzupacken, geht man ohnehin nirgendwohin, wie meine Mama immer so schön sagt, und an Wein, den man gemütlich nach dem Wandertag in der Badewanne trinken konnte, würde es auch nicht mangeln. Ich hatte bei schlechtem Wetter so viel vorausgearbeitet, die Verschanzung im Künstlerhaus hatte sich als unglaublich produktiv herausgestellt, so dass ich mit allen Projekten trotz einkalkulierter Wandertage zum Ende gelangen könnte. Das war der Plan, viel ändern würde sich nicht, auch wenn die Befürchtung durch die Wohnung spukte, dass ich vielleicht dort festhängen könnte, die Rückreise durch neue Regelungen verunmöglicht werden könnte, war das nicht der schlimmstmögliche Fall – in sonnigen Weinbergen festsitzen, ja, buhuhuh, wer da jammert, hat keinen Realitätssinn.
    Auch meine Lesung in Edenkoben hatte bereits stattgefunden, bis zu meiner Rückkehr würde ich also nichts verpassen. Gemütlich war es, das Wetter wurde besser, und drei Tage lang konnte man die Weltuntergangsstimmung nur in den Gesprächen mit anderen Bewohnern des Hauses spüren. Wir konnten uns wie Beobachter der Weltlage fühlen. Für Autoren ist zu Hause zu sitzen ohnehin der normale Modus operandi, also sahen wir nur einander, grübelten über die Ursuppe voller Viren und Bakterien da draußen, während wir beschaulich auf das langsame Vorüberziehen der Sterne und das schnelle Blinken der Windränder blickten.
    Dass in Österreich die Beschlüsse früher kamen, machte aus dieser privilegierten Außenperspektive keinen Unterschied mehr. Worüber sollte ich also auf diesem Blog schreiben? Wozu auch? Die, die jetzt über die Isolation schreiben, waren vorher schon ziemlich solide in ihren Kokons eingesponnen, und wem das Kaffeehaus abgeht, der hat auch nur ein Luxusproblem. Bei Hilfspaketen fällt man als Autorin sowieso aus dem Raster, weil künstlerischer Verdienst stark fluktuiert, und im letzten Jahr kaum etwas verdient zu haben, bedeutet, selbst wenn man in dieser Saison ein erfolgreiches Buch gehabt hätte, dass diese Gelder niemals ersetzt würden, egal wieviel Zeit zu lesen andere nun hätten. Also: Für viele von uns ist alles wie immer. Finanziell sicher suboptimal, aber hey, Edenkoben: Ich könnte jeden Tag ein Weinetikett fotografieren und den Wein besprechen – das wäre vielleicht nicht ganz so sinnvoll, aber wer weiß, was meine Leber noch gesagt hätte, aber das ist eben die entsprechende Gegend, man muss mit dem arbeiten, was man bekommt – when life gives you lemons make limoncello. In Zeiten der Krise tun die Edenkobener ohnehin das einzig Vernünftige: Sie listen auf der offiziellen städtischen Homepage auf, welche Winzer innerhalb von Edenkoben nach Hause liefern. Prost!
    Drei Tage hielten das wundervolle Wetter, der Arbeitseifer und die Weinliebe an. Dann wurden wir rausgeworfen:
    Rheinland-Pfalz erteilte die Weisung, sämtliche Bildungseinrichtungen zu schließen. Zu denen gehört auch das Künstlerhaus, und auch wenn die Künstler alle brav in ihren eigenen Badewannen vor sich hingluckerten und ihr eigenes Textsüppchen kochten, bedeutete das für uns: In zwei Tagen seid ihr raus. Völlig orientierungslos – der Wein! - begannen wir also innerhalb von zwei Tagen, alle unnötig zusammengehamsterten – nun ja, so viel war es nicht, aber ein gewöhnlicher Wocheneinkauf am Vortag der Hiobsbotschaft zwang uns, einiges zurückzulassen – Produkte einzupacken oder auszutrinken. Der Wein! Passend zum exzellenten Wein gab es auch noch: Drama. Viel zu viel Drama: Einer der Insassen hatte seine Berliner Wohnung noch für Monate untervermietet. Wohin mit sich? Und mit dem Wein? Wohin sollte jene gehen, die einfach zu ihrem Freund hätte fahren können, der jedoch gerade informiert wurde, dass er Kontakt mit einer Infizierten gehabt hatte. Wie sich das schon anhört: eine Infizierte. Wie bringt man eine Packung Klopapier, die man noch im Künstlerhaus hat, quer durch eine deutsche Großstadt ohne überfallen zu werden? Und der Wein! Während ich kopflos - der Wein! - ein neues Ticket kaufte, dekadent, dekadent in der ersten Klasse, die erstaunlicherweise nur zwei Euro mehr kostete als das gewöhnliche Ticket, habe ich mit den Kollegen mitgefiebert, mitgezittert, und hätte ich auch nur einmal gehustet, hätte man mich vermutlich in Quarantäne gesteckt. All die Aufregung, bis sich herausstellte, dass das Klopapier noch in die Tasche passt, der Freund doch kein Corona hat und in Edenkoben die Finanzschüler ausgeflogen sind und daher plötzlich günstige Wohnungen frei wurden – das hatte doch noch etwas harmlos Abenteuerliches. Ich dagegen hatte es einfach: Graz ist meine Homebase, in Graz kann ich immer noch irgendwohin, und auch mein Kämmerchen hatte ich niemandem untervermietet, dazu wäre ich ohnehin nicht lange genug weg gewesen. Ich würde einfach nach Graz fahren und musste nur kurz in Neustadt und Hildesheim umsteigen und dann etwa zehn Stunden ohne weitere Unterbrechungen am gleichen Sitz hin und herrutschen, während mein Kopf sich endlich durch die Geschehnisse arbeiten könnte, ein bisschen defragmentieren, und ich würde spätnachts wieder in mein eigenes Bett fallen.
    Mein Kopf hat aber nichts dergleichen getan und nein, der Wein war das nicht, sondern der Grusel: Die Bahnsteige waren leer. So leer, dass ich mir selbst schon “Langsam find der Tåg sei End” vorzusingen begann, es kann mich eh niemand hören, ist ja völlig egal, wie falsch ich singe. Auf meinem Erste-Klasse-Sitz angekommen, war auch schnell klar, dass es genaugenommen mein Erste-Klasse-Wagon war und dass das Platzservice ohnehin eingestellt worden war. Kein Problem, denn ohne etwas zu essen dabeizuhaben, fährt man eh nirgendwo hin, wie meine Mama so schön sagt. Natürlich habe ich To-Do-Listen geschrieben, ein paar Linguistik-Vorlesungen auf meinem mp3-Player gehört. Immer dunkler wird es im Zug. Ich habe schon sämtliche Lichter meines Abteils eingeschaltet und die Schalter gleich desinfiziert, man muss ja auch an andere denken. Einmal geht ernsten Blickes ein Mann mit Warnweste, Gummihandschuhen und Müllsack vorbei. Ebenso ernst schaut er durch die Abteilscheibe, blickt mich an, blickt auf den Müllsack, blickt wieder mich an, ich schüttle artig den Kopf, nein, kein Müll, und er geht mit Begräbnisblick weiter und verschwindet im dunklen Flur. Bei der Grenzkontrolle in Salzburg stehen wir ein Weilchen, doch war diese Zeit bei der Buchung wohl schon einberechnet worden, denn Verspätung haben wir keine. München, Salzburg, Bischofshofen – die Bahnhöfe sind überall gleichermaßen leergefegt. Ich warte, dass ein Busch vorbeirollt, wie im Wildwestfilm, oder dass die Zombies plötzlich die Rolltreppe hinunterstürmen wie in „Train to Busan“. Ich werde nicht kontrolliert. Ich habe meine Fahrkarte online gekauft, die wissen eh, wer in diesem Wagon sitzt, die wissen ja, dass ich heimfahre, denn die Staatsbürgerschaft muss bei der Buchung auch angegeben werden. Ich nenne alles nur mehr: meins: Mein Abteil, mein Wagon, meine zwei Zugklos, mein maschinelles Fahrtgeräusch, meine Dunkelheit, meine Monotonie. Ich habe die Befürchtung, dass ganz Österreich jetzt ein Geisterstaat ist, als fürchteten wir plötzlich alle, aus heiterem Himmel vom Blitz getroffen zu werden. Als ich mich in Graz endlich mitsamt aller Taschen – der Wein! - aus dem Wagon hieve, höre ich eine Bahnangestellte lachen. Mit dem Rucksack plumpst mir ein Stein vom Herzen: Gespenster sind hier nicht.

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    Bücher von Cordula Simon

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    Cordula Simon - Wie man schlafen soll

    In einer namenlosen Steppe blinken die Lichter von Lightraff, einer künstlichen Stadt, die rund um eine Raffinerie aus dem Boden geschossen ist und Arbeit in einer von Klimakatastrophen verwüsteten Welt verspricht: Koslov, Barkeeper im Darkraff, sucht hier sein Glück, genauso wie der ehemalige Landwirt Schreiber und der aalglatte Haye, der Arbeit in der Stadtverwaltung gefunden hat. Doch die drei teilen nicht nur den Glauben an Lightraff, sondern im Schichtbetrieb auch ihr Bett, das jedem für genau acht Stunden gehört. Als die Ölquellen versiegen und das straff organisierte Gefüge der Stadt zu zerbröckeln beginnt, treffen die drei Bettgeher erstmals aufeinander. Das aber kann eigentlich nur böse enden...

    Coverabbildung von 'Der Neubauer'

    Cordula Simon - Der Neubauer

    „Schlechten Menschen geht es immer gut“ – mit diesem Motto und anderen zynischen Sprüchen hat sich der Erzähler zum bewunderten und verhassten Mittelpunkt einer gelangweilten Oberschichtclique gemacht. Keiner weiß, dass er von schlecht bezahlten Minijobs und einer außergewöhnlichen Gabe lebt: Alkohol macht ihn zum Gedankenleser. Ein Hochstapler, der die Dummheit der oberflächlichen Hipsterbande ausnützt, aber auch ein unwiderstehlicher Improvisationskünstler, der in der glamourösen Tarán seine Liebe findet und sich aus schierer Not in ein immer aberwitzigeres Lügennetzwerk verstrickt, in dem tätowierte Mafiabosse und wilde Verfolgungsjagden zum Alltag gehören. Dieser Drahtseilakt geht jedoch nur solange gut, bis der Neubauer auftaucht…